Vom Mixtape zum Podcast

Individuelles Hörerlebnis im Wandel der Zeit

Wenn die Baby-Boomer-Generation in ihrer Jugend Musik hören wollte, ging sie ins Plattengeschäft und kaufte Singles oder Langspielalben oder verbrachte Stunden vor dem Radio in dem damals ausschließlich öffentlich-rechtliche Sender zumindest zeitweise „Musik für junge Leute“ spielten. Technisch hochgerüstete Vertreter dieser Generation hatten Cassettenrecorder (erstmals vorgestellt auf der “Großen Deutschen Funkausstellung” 1963 in Berlin, populär geworden in den 1970ern) und legten großen Ehrgeiz daran, die gesendete Musik mitzuschneiden und exakt vor der Abmoderation die Pausentaste zu drücken. Das Ergebnis waren Tapes, deren Musik mit mehr oder weniger kräftigem Rauschen unterlegt war, die aber trotzdem begehrtes Tauschobjekt auf den Schulhöfen wurden. Mixtapes waren individuell – schon das machte sie so wertvoll.

Über viele Jahre blieben Cassetten der individuelle Tonträger schlechthin – nicht zuletzt auch Dank des Walkmans, eines tragbaren Cassettenspielers, der Ende der 1970er Jahre auf den Markt kam. Den Anfang vom Ende sollte eine kleine Silberscheibe einleiten, die auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) 1981 einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurde: die CD. Bis zu 74 Minuten Musik speicherten die damals neuen Tonträger und das digital, sprich: mit klarem Klang ohne Rauschen und Knistern. 

Trotz aller Begeisterung für die Klangqualität der neuen Scheibe blieb eines auf der Strecke: Die Individualität. CDs waren – wie vorher die Schallplatten – fertig, wenn man sie kaufte. Eigene Zusammenstellungen? Fehlanzeige.

Entscheidungsfrage: Digital oder selbst gemacht?

Konsumenten waren also in der Zwickmühle: wer digitale Qualität wollte, musste zur Konfektionsware greifen, wer individuelle Zusammenstellungen wollte, blieb in der analogen Welt mit Cassetten oder Tonbandgeräten oder musste sich mit damals extrem teurem Profi-Equipment versorgen.

Mögliche Auswege aus dem Dilemma zeigte die IFA 1991. Dort wurden gleich zwei neue Systeme vorgestellt: die digitale Compact Cassette (dcc) und die MiniDisc (MD). Die digitalen Cassetten hatten den Vorteil, dass sie eine gewisse Kompatibilität zu ihren analogen Vorgängern hatten. Die Abspielgeräte konnten nämlich sowohl die alten analogen Cassetten abspielen als auch die neuen digitalen. Aber es war ein Bandmedium, was bedeutete, dass Titel nicht sofort abrufbar waren, sondern zuerst an die entsprechende Stelle gespult werden musste. Das konnte die MD schon besser. Wie bei der CD arbeitet hier ein Laser, der blitzschnell an die gewünschte Stelle der Scheibe sprang. Ihr Nachteil war allerdings, dass sie ein völlig neues Medium war und neue Abspielgeräte benötigte. Viele Freunde gewann sie daher nicht – ebenso wenig wie die dcc. In der Folge wurden beide Systeme nach wenigen Jahren vom Markt genommen.

Die Erde ist eine Scheibe

Ein Grund für diesen Misserfolg war sicherlich die übergroße Beliebtheit der CD. Warum neue Standards zur Aufnahme, wenn es doch ein System gibt, das schon weit verbreitet ist? Tatsächlich hatte sich die CD seit ihrer Markteinführung weiterentwickelt. Aus dem Träger von digitalen Musikdaten war ein Universalmedium geworden, das nicht nur Musik, sondern auch Fotos (Photo-CD), Videos und vor allem aber Computer-Daten und Programme speichern konnte. CD-ROM-Laufwerke (ROM = read only memory, Speichermedium, das nur gelesen werden kann) gehörten bald zur Standardausstattung von Computern, CD-Brenner, also Daten-Recorder, folgten bald. Der nächste Schritt war naheliegend, denn die CD-Brenner der PCs konnten nicht nur Computerdaten auf die Scheiben brennen, sondern auch digitale Musikdaten. Der PC wurde zum Soundstudio, diverse Programme unterstützten beim Zusammenstellen und Gestalten der eigenen CDs.

Um das CD-Recording wieder zu einem Thema der Unterhaltungselektronik zu machen, wurde auf der IFA 1997 ein CD-Recorder im typischen Look einer HiFi-Komponente präsentiert. Es war zwar nicht der erste CD-Recorder fürs Wohnzimmer, doch einer, mit dem die Musikindustrie – wenn auch zähneknirschend – leben konnte. Er erlaubte immer nur eine digitale Kopie einer CD. Eine Kopie dieser Kopie wurde technisch verhindert. Die eigene Musik-Zusammenstellung war jetzt digital und damit zeitgemäß möglich, hatte aber ihren Preis: Sowohl der CD-Recorder als auch die zur Aufnahme benötigten CD-Rohlinge waren preislich keine Schnäppchen.

Schnäppchenjäger waren ohnehin dem Computer treu geblieben. Er bot nicht nur die Möglichkeit, CDs günstiger zu erstellen, sondern auch durch das inzwischen in Fahrt gekommene Internet die Quelle für Musikdateien, die auf – meist illegalen – Plattformen angeboten wurden.

Datenkompression und schnelles Internet: Konkurrenz für den Tonträger

Beschleuniger der Verbreitung von Audio-Dateien über das Internet waren Kompressionsverfahren wie mp3, die es ermöglichten, Musik mit minimalen Qualitätsverlusten auf deutlich geringere Datenvolumen herunterzurechnen. Die passenden Geräte zur Wiedergabe – (meist) tragbare mp3-Player – kamen 1998 auf den Markt.

Anfangs war die Nutzung der Player kaum etwas für breitere Zielgruppen. Um die Musik oder andere Audio-Dateien auf das Gerät zu laden, war ein Computer notwendig, gepaart mit mehr oder weniger bedienungsfreundlichen Programmen. Wer den Weg zu den illegalen Plattformen vermeiden wollte, musste zuerst seine eigenen CDs in das mp3-Format herunterrechnen (rippen) lassen.

Der große Umbruch kam dann 2003 mit iTunes: Plötzlich gab es ein „Online-Plattengeschäft“ bei dem man nicht nur ganze Alben, sondern auch einzelne Titel kaufen konnte. Einfach per Click mit der Maus herunterladen, am Bildschirm sortieren und auf den iPod, den Player des gleichen Herstellers, übertragen. Die ganz individuelle Playlist war nun bequem erstellbar und dank kleiner, handlicher Geräte auch immer dabei.

All-in-one und Always on

Natürlich gab es mp3-Player nicht nur von einem Hersteller, doch keinem anderem Unternehmen ist die Verschmelzung von Hardware und Programm so schlüssig gelungen, wie der Marke mit dem angebissenen Stück Obst als Emblem. Die Fortsetzung des Integrationsgedanken erfolgte 2007. Zwar gab es auch schon vorher Mobiltelefone mit integriertem mp3-Player, aber mit der Vorstellung des ersten iPhones wurde die Sache erst richtig rund: Jetzt war das mobile Hörerlebnis mit nur einem Gerät möglich – inklusive mobilem Zugriff auf online erwerbbare Musik, Hörbücher und andere Audiodaten.

Das Smartphone entwickelte sich seitdem zum Universalinstrument: Die ursprünglichen Funktionen wie Musikplayer und Telefonieren machen nur noch einen Bruchteil der gesamten Nutzung aus. Tausende Apps stehen bereit, um nahezu alle Bereiche des Lebens zu abzudecken: von der Unterhaltung per Spiele-App, über die Erledigung von Finanzangelegenheiten und der Navigation bis hin zur Überwachen von Gesundheit und Fitness. Speziell eine Entwicklung wäre ohne die rasante Verbreitung des Smartphones kaum möglich gewesen: Die sogenannte “Sharing Economy”. 

Nutzen statt besitzen

Plattformen, über die Nachbarn selten benötigte Werkzeuge oder Küchengeräte untereinander ausleihen sind nur ein Beispiel dafür. Der große Umbruch fand aber in anderen Bereichen statt. Zimmer und Wohnungen werden über Sharing-Plattformen an Touristen und Geschäftsreisende zur Verfügung gestellt, immer mehr Menschen im urbanen Raum verzichten aufs eigene Auto oder Zweirad und buchen einfach bei Bedarf spontan eins beim Sharing-Anbieter. Der Gedanke vom „nutzen statt besitzen“ verbreitet sich kontinuierlich weiter. Und das gilt inzwischen auch für Musik und andere Medien.

Die vollen Schubladen mit Mixtapes, die umfangreiche Platten- oder CD-Sammlung, ausladende Bücher-, DVD- und Blu ray-Regale haben einen frappierenden Imagewandel absolviert – vom Statussymbol zum Platzfresser. Dank universeller Verfügbarkeit von schnellem und mobilem Internet sind Bücher und Videos, Musik, Dokumentationen, Fotos, Hörbücher, Spiele und andere Inhalte ständig und überall verfügbar. Die Abo-Modelle der Musik- und Video-Streaming-Anbieter starteten Ende der Nuller-Jahre und konnten seitdem dank des immer schneller und günstiger werdenden Internets kontinuierliches Wachstum erfahren. Wohl keine private Musiksammlung kann mit dem unerschöpflichen Reservoir an Titeln bei den Streaming-Anbietern mithalten. Zumal kluge Algorithmen im Hintergrund werkeln und zu den persönlichen Vorlieben passende Vorschläge machen.

Mainstream versus Individualität

Die Streitfrage ist am Ende, ob die von den Algorithmen generierten „Online-Mixtapes“ das Ende der Individualität beim Audio-Geschmack bedeuten, oder ob nicht gerade das nahezu unendliche Angebot für größtmögliche Individualität sorgen kann. 

Eine Antwort auf diese Frage könnte die Entwicklung eines Mediums geben, das ebenfalls Ende der Nuller-Jahre Fahrt aufnahm und inzwischen bei den Audio-Rubriken fest etabliert ist: der Podcast. Nicht nur die klassischen Lieferanten von Wortbeiträgen – die Radiostationen – haben dieses Instrument für sich entdeckt. Auch andere Mediengattungen wie Zeitungen und Zeitschriften und jede Menge freie Podcaster mit unterschiedlichsten Hintergründen liefern Beiträge für das jederzeit ohne starres Zeitschema abrufbare Format. Manche Podcasts haben festgelegt Längen, andere reizen die Möglichkeiten aus und unterhalten die Zuhörenden unterbrechungsfrei über einige Stunden – was bei klassischen Medienformaten an vielen Rahmenbedingungen scheitern würde. 

Podcasts verbinden Generation Z mit Generation Baby-Boom

Somit sind Podcasts zum Unterhalter, Erklärer und Entschleuniger in einer immer komplexeren und schnelllebigeren Zeit geworden. Das kommt übrigens nicht nur bei der „Always-On-Generation“ der unter 30-jährigen gut an. Zwar stellen die mit rund 46 Prozent den Löwenanteil, doch immerhin 17 Prozent der Podcasts Hörenden sind 50 und älter. Wobei die Nutzungstendenz in dieser Altersgruppe rapide steigt. Der Streamingriese Spotify verkündete jüngst, dass sich die Podcast-Nutzerzahlen bei den 55- bis 64-jährigen in Deutschland im ersten Halbjahr 2023 um 81 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesteigert haben. 

Spätestens jetzt hat die Generation Baby-Boom Podcasts für sich entdeckt.

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